Montag, 15. Dezember 2014

Rückschritt oder Rückkehr

Ich habe wirklich lange überlegt, ob ich für ein Semester nach Tbilisi zurückkehren soll. Ich habe wirklich lange ein Dokument auf meinem Desktop liegen gehabt, das „Rückkehr oder Rückschritt“ hieß. Ich habe die ersten Wochen, als ich wieder hier war, nicht den Mut gehabt, dieses Dokument zu öffnen, weil ich die Argumente für „Rückschritt“ nicht schwarz auf weiß lesen wollte. Die Argumente für „Rückkehr“ präsentierten sich mir schließlich Schritt auf Tritt, mit allen Farben, Gerüchen, Geschichten, Gegenden, allem Wahnsinn, den diese Stadt – zumindest mir – zu bieten hat.
 
Es ist dieselbe Stadt, es ist sogar dieselbe Wohnung und dasselbe Zimmer. Ich kaufe denselben Wein bei derselben Weinfrau, gehe zum selben Gemüsemann und sitze auch bei Kälte auf demselben Balkon.

Ich fahre mit anderen Buslinien, weil die Uni in einem anderen Viertel ist als meine Arbeitsstelle damals. Ich rede fast kein Deutsch, weil all die Deutschen von damals nicht mehr hier wohnen. Ich gehe in andere Bars, weil unsere Lieblingsbar in unserer Straße nicht mehr dieselbe ist und es jetzt besseres gibt. Es gibt mehr und mehr Momente in diesen Bars, wo wir die Gespräche ins Georgische abgleiten lassen, ohne dabei die Tiefe, den Witz oder auch die Oberflächlichkeit des Gesprächs zu verlieren. Es wird natürlicher, es wird ab und zu, und immer öfter, möglich, meinen Humor auf Georgisch auszudrücken. Ich gehe in einen anderen, riesigen, französischen Supermarkt, weil der georgische bankrott ging. Ich spreche nicht mehr so viel über die Homophobie in Georgien, das war das Thema des Sommer 2013, es gibt neue Themen. Neue unangenehme Erfahrungen, neue Erkenntnisse, neue Probleme, neue Schicksale.

Ich habe mittlerweile fast anderthalb Jahre hier gewohnt, natürlich sehe ich nicht jeden Tag nur das leckere Essen, den günstigen Wein, die Schönheit des Verfallenen. An manchen Tagen sehe ich nur das Fett im Essen, den Zucker am Boden des Weinglases und die brutale Realität des Verfalls.
Es ist eine Rückkehr in gewohntes, es ist das Weitergehen mit neuen Freunden, neuen Gegenden, neuen Momenten, es gibt nicht jeden Tag ein neues Abenteuer, aber es fühlt sich jeden Tag richtig und richtiger an, dass ich zurückgekehrt bin.



Umso besser, dass schon in einer Woche eine neue Rückkehr auf Zeit ansteht. 2 Wochen voller Plätzchen, Völlerei, Geschenken, Aschenbrödel, Sissi, dem kleinen Lord, allen jemals verfilmten Astrid Lindgren- Geschichten, voll von Frankfurt, Engelrod, Berlin, Jena und Köln und den Leuten dieser Orte werden es sein. 

Donnerstag, 27. November 2014

Ein Donnerstag im Hause "Dadiani Str. 24a"

9.30, Türklingeln, Lea (eingeladen, ergo angekündigt) steht mit frischem Brot vor der Tür. Es wird geschlemmt, gequatscht, und in Ermangelung besserer Alternativen Instantkaffee getrunken.

9.45, Türklingeln, Metin (bald Mitbewohner, hatte versucht anzurufen, ergo quasi angekündigt) steht vor der Tür. Er kriegt einen Instantkaffee und erzählt fröhlich, dass in 15min der Vermieter kommt, um Dinge zu regeln, und wir dafür dann alle zusammen zum Notar marschieren müssen. Wir nehmen zur Kenntnis und schlemmen schneller.

10.10, noch immer kein Türklingeln, Vermieter verschiebt Treffen auf Nachmittag, Metin wäscht seine Tasse ab und geht wieder.

11.00, wildes Klopfen an der Tür, Polizeibeamter steht (natürlich unangekündigt) da und möchte gerne einen Zensus durchführen. Er darf reinkommen und will eine ganze Weile nicht verstehen, dass ich für sowas echt gar nicht verantwortlich bin, mein Name steht nicht mal im Mietvertrag, offiziell existiere ich in dieser Wohnung (oder diesem Land) gar nicht. Ich verweise ihn an meinen Mitbewohner, der leider grade im Urlaub in Iran ist. Weil er aber schon mal da ist, quatschen der Polizeibeamte und ich noch ein bisschen. Er quatscht, er fragt, ich lüge fröhlich herum und gebe nutzlose Antworten, man weiß ja nie, und die Staatsmacht zu verwirren halte ich im Zweifelsfall für die beste Verteidigung. Nachdem wir neben meinem Geburtstort, meiner Tätigkeit, und allerlei offiziellem Kram auch das Problem, dass ich mit 23 noch ehemann- und kinderlos bin, evaluiert haben, sitzt er weiter fröhlich und bequem im Sessel rum und es dauert eine Weile, bis ich ihn heraus komplimentiert habe. („Haben Sie eigentlich noch Fragen? Nein? Na dann!“)

14.00, Telefonklingeln: „Nora, bist du das?“ „Ja, Herr Vermieter, ich bin’s!“ „Meine Frau wartet auf dich, beim Notar, schnell!“ Entschuldigung, dass ich das bei unserer Gedankenübertragung nicht verstanden habe, sagen Sie mir doch das nächste Mal einfach telefonisch – vorher! –  Bescheid, dass ich Ihre Frau irgendwo treffen soll. Marschiere zum Notar, regele wichtige Dinge, nehme die Frau auf dem Rückweg mit, weil sie noch „etwas erledigen“ möchte in unserer Wohnung. Nun gut.

15.00, unsere Wohnung: Leider sind sowohl ich als auch die Frau zu klein, um das riesige Landschaftsgemälde, das sie aus unserem Wohnzimmer mitnehmen möchte, von der Wand zu nehmen. Wie schade. Ich kann nicht behaupten, dass das Gemälde besonders meinem Kunstgeschmack entspräche oder dass ich eine sehr starke emotionale Bindung dazu aufgebaut habe, aber die weißen Stellen an der Wand häufen sich nun mal und das sieht nicht schön aus!

15.15, Türklingeln, der Vermieter steht vor der Tür, grüßt wie immer freundlich, geht an mir vorbei in die Wohnung, streckt sich, hängt das Landschaftsgemälde ab, winkt noch einmal fröhlich in die Runde und geht. „War das unser Vermieter?“ fragt meine Mitbewohnerin, die seit 6 Monaten hier wohnt. Schön, dass die beiden sich jetzt auch mal gesehen haben, wo sie doch schon in drei Tagen abreist!

15.30, Türklingeln, die Georgischlehrerin kommt und gibt sich wie immer größte Mühe, mir etwas beizubringen.

18.00, Türklingeln, der neue Mitbewohner kommt, um wichtige geregelte Dinge abzuholen.



Wie wäre dieser Tag nur verlaufen, wenn ich nicht ein lotteriger Student wäre und den ganzen Tag zu Hause chillen würde? 

Dienstag, 18. November 2014

Nachhauseweg

Es ist kalt, es regnet, ich bin auf dem Weg nach Hause in die zwar nicht eben warme, aber trockene Wohnung, stehe eingequetscht in einem übervollen Bus zu Rushhour und weiß: es sind nur noch zehn Minuten. Falsch gedacht. In den großen Supermärkten hier wird man von einem freundlichen Sicherheitsmann am Eingang freundliche geboten, seine mitgeschleppten Tüten in einem Schließfach einzusperren, damit man seine Einkäufe nicht aus Versehen dort hineinsteckt und aus Versehen dann nicht bezahlt. Ist an sich sehr super, weil man dann auch weniger Zeug durch den Supermarkt schleppt. Ist gleichzeitig ungünstig, wenn man charakterlich eher zu verwirrt & vergesslich als zu organisiert & gewissenhaft neigt. Seit ich das erste Mal die Kombi Freundlicher Sicherheitsmann&Schließfach hier im Supermarkt sah, war mir eh klar, dass ich da eines Tages unfassbar wichtige Dinge einschließen, vergessen, und niemals wiedersehen würde.

So geschehen natürlich genau dann, als es nur noch 5 Minuten durch den kalten, dunklen Regen zu mir nach Hause sind. Ich quetsche mich also bei nächster Gelegenheit durch Körpermassen, plumpse denkbar unelegant aus dem Bus, nehme den nächsten zurück, und erblicke in den neuen Körpermassen, mit denen auch dieser Bus gefüllt ist, bekannte Gesichtszüge. Tbilisi mag größer sein als Jena, ist aber ähnlich klein wie die Welt an manchen Tagen. Die bekannte Nase gehört zu einem Kommilitonen aus Litauen, dem ich versuche, zuzuwinken. Aus Platzmangel entscheide ich mich für ein „Hey, ich kenne dich“-Grinsen, das wiederum aus Platzmangel gequälter erscheinen mag, als es gemeint ist.

Minuten später, Bus überlebt, wieder auf der kalten, nassen Straße. Jetzt schnell in den Supermarkt, die riesige Tüte mit wichtigem Zeug zurückholen, dann nix wie heim. Wenige Schritte, plötzlich kommen mir Locken links von mir bekannt vor, drehe den Kopf, sage begeistert Keti Hallo, die ich seit über einem Jahr nicht gesehen habe. Da hat sich der Umweg, das Gequetsche, das Alles ja gelohnt!

Minuten später, wieder im Bus, diesmal nach der Rushhour, daher angenehm unüberfüllt, sogar mit Sitzplatz, Premium! Starre nach draußen, kenne den Weg, die Häuser, die Läden, starre also lieber die Menschen an, die da draußen so rumlaufen. Erkenne eine Mütze, die Haare, ein Gesicht – Nino! Ich drinnen, sie draußen, Hallo sagen erweist sich also als schwierig, trotzdem fühlt es sich so an, als hätte sich der ganze verfluchte Umweg jetzt schon dreifach gelohnt.

Minuten später, endlich wirklich nur noch wenige Meter von zu Hause entfernt. Der Gemüsemann ruft fröhlich „Privet!“, ich antworte fröhlich und kaufe diesmal nichts bei ihm (er ist nur mein zweitliebster Gemüsemann, liegt aber auf dem ruhigeren Heimweg, darum kaufe ich manchmal dann doch bei ihm ein). Die Frau im Second-Hand-Laden direkt neben ihm setzt ihr freundlichstes Lächeln auf (wobei das nicht besonders freundlich ist) und beginnt, mir die Herbst-Winter-2014-Kollektion anzupreisen (nicht, dass die gestern anders ausgesehen hätte). Die Männer an der Ecke, die dort immer stehen und irgendetwas begutachten, tun so, als würden sie mich nicht kennen. Das witzige Duo im China (ich glaube, jedenfalls asiatisch!)-Imbiss, der vor ein paar Wochen direkt neben meinem Haus aufgemacht hat, nickt mir zu. Ich „kenne“ sie, weil ich schon dreimal versucht habe, dort genauso schnell Essen zu kriegen, wie meine Mitbewohnerin (Nora, das dauert immer nur 3 Minuten, da ist nie jemand!). Ich war immer auf ganzer Linie erfolglos, weil der gesamte Imbiss immer dann voll war, wenn ich mit exakt fünf Minuten Zeit dort angerannt kam. Sie sind witzig, weil es ein stummer chinesischer (ich glaube, jedenfalls asiatisch!) Koch und ein mitteilsamer georgischer Manager (ich glaube, jedenfalls arbeitet er dort) ist und sie beide wie ein perfekt eingespieltes Team wirken. Und vielleicht finde ich den ganzen China/Asia-Imbiss auch deswegen so lustig, weil genau dort vorher an einem seit Jahren leer stehendem Ladenlokal schon seit Jahren „fucck Capitalism!“ als unglaublich laienhaftes Graffiti inklusive Rechtschreibfehler an die Wand geschrieben war und dort jetzt einfach ein weiterer Konsumtempel eröffnet wurde. Noch lustiger wäre es gewesen, wenn dort „Fucck Globalisation“ gestanden hätte, denke ich mir immer.


Sekunden später, ich sitze auf meinem Balkon und nicke all meinen Nachbarn zu, die entspannt auf Nachbarbalkonen sitzen und starren. Sie lassen sich durch mein Zunicken nicht stören, sondern starren entspannt weiter. Ich entspanne mich und starre mit. Es ist schön, immer dasselbe und dieselben zu sehen, wiederzusehen, wiederzutreffen, wiederzuerkennen. 

Sonntag, 5. Oktober 2014

Eine städtische Woche

Zwei Schweden schichten unzählige Lagen aus Teig, grell gefärbten Marzipan, schwedischen Süßigkeiten in Auto-Form, georgischem Käsebrot, unangenehm farblosem Gelee und Zuckerstreuseln aufeinander. Jeder darf mitschichten, alle sollen mitessen. Das hier ist unser Tiflis, ihr könnt es essen, schmecken, gestalten, zerstören, aufbauen! Was ist Tiflis für dich? Was bedeutet Freiheit für dich? Und hier, nimm doch ein Glas Wein, das ist kostenlos!

Ein Künstler aus Kairo, der nicht als Künstler bezeichnet werden möchte, erzählt mit Hilfe einer schlechten Powerpoint von den Märkten, den nahöstlich anmutenden Basaren Tiflis‘, die er in den letzten Wochen mit Künstlern (die als solche bezeichnet werden wollen) und Anthropologen aus Georgien besucht hat. Ein einzelnes Mitglied der „ersten Rockband Georgiens“ spielt Gitarre. Was ist Raum und wie nehmen wir ihn wahr? Was ist Distanz und wo beginnt sie? Nehmt euch doch noch vom Wein, greift zu, wir haben auch Obst, alles frisch vom Markt, das ist für euch!

Die moderne Fotographie in Polen, vielseitige Strömungen herunter gebrochen auf eine einstündige Präsentation in einer Galerie in einer vergessen Seitenstraße der Altstadt: Hunderte Fotos im Schnelldurchlauf, einige Erklärungen, hängen bleiben natürlich die vielen, teils grotesk hässlichen Aktfotos, Schönheit wird zu schnell vergessen. Taxifahrt. Steinbecks Reise durch die Sowjetrepubliken Russland, Georgien und Ukraine (1947), hier mit Fokus auf Georgien, ausgestellte Fotos in der Galerie einer großen Bankkette. Kostenloser Wein, diesmal in formellen Gläsern, keine Plastikbecher, gehobenes Publikum. Taxifahrt. Eine dieser individuell designten Bars, die in jeder Hauptstadt der Welt gleich aussehen und das gleiche Publikum anziehen, heute aber trotzdem mal Spaß machen. Wo kommst du her, was verschlägt dich hierhin? Name vergessen, spielt keine Rolle, du also auch hier, flüchtige Begegnungen, Dynamik, fliegender Wechsel, Hektik, wie heißt du nochmal?


Ein Kino, das man kennen muss, um es zu finden. Kurzfilme aus Amerika, Georgien, Spanien und so weiter, eine langatmige Kloster- Reportage, geschmackvoll dargestellte Prostitution, eine Kurzgeschichte mit Moral im Park, ein Blitzlicht ins reale Leben einer georgischen Familie. Film, Licht an, Publikumswechsel, lautstark, „Entschuldigung, dass ich Ihnen auf die Füße getreten bin“, Gedrängel, Licht aus, nächster Film. Taxifahrt. Großformatige Leinwände in den Straßen der Altstadt, prämierte Fotographien aus Iran, Ukraine, Deutschland, Amerika, Ukraine, Iran, dem Kaukasus, Iran, Ukraine, fast ausschließlich schwarzweiß, tendenziell deprimierende Schönheit, teils verstörende Hässlichkeit. Fußweg, wenige Minuten. Die neue Bar wird von einer Französin geleitet, heute singt ein französischer Reisender uns Lieder aus Syrien, Indien, Iran, Georgien, dem französischen Mittelalter. Wieder Fußweg, wieder Fotos, von sterbenden Städten der Welt, von sterbenden Menschen, sterbenden Diktaturen oder Demokratien. Heute zahle ich für meinen Wein.

[Ich bin jetzt seit einer Woche wieder Einwohnerin einer Hauptstadt. Nächste Woche beginnt die richtige Uni, bisher galt es: Mitnehmen, was immer es gibt, und gerade geht hier kulturell-künstlerisch ordentlich die Post ab. Oktober ist der Monat für Kultur-Festivals, scheinbar. Großartig!]

Dienstag, 30. September 2014

Balkonbeobachtungen

Ich sitze gemütlich auf meinem neuen alten georgischen Balkon und gucke ein bisschen durch die Gegend. Das mache ich ganz gerne, weil die Straße hier sehr belebt ist und man ab und zu sehr erstaunliche Dinge beobachten oder Gespräche belauschen kann. Heute ist es eigentlich eher unerstaunlich, aber ich bin trotzdem fasziniert:

Diesmal sehe ich einen Jungen, der irgendein Plakat an eine Wand klebt. In den letzten Tagen ist mir wieder aufgefallen, wie vollplakatiert die gesamte Stadt hier ist: An jeder Hauswand, an jedem Bauzaun, in den Bushaltestellen und Metrostationen, einfach überall sehe ich Blätter auf Georgisch, Russisch, Englisch, vermehrt auch auf Arabisch, die von Konzertankündigungen über Jobangebote und –gesuche, Werbeanzeigen diverser religiöser Vereinigungen bis hin zu Sprachkursen und generell Events jeder Art alles Mögliche bewerben. Gestern war ich auf einer Ausstellungseröffnung, wo ein Teil der Kunst aus Hunderten von abgerissenen Plakaten bestand und seitdem habe ich noch ein bisschen mehr darauf geachtet, was hier eigentlich bekanntgemacht wird. Zwischen den vielen nutzlosen oder unverständlichen Angeboten sind nämlich auch immer mal sehr spannende Sachen dabei. Jetzt sitze ich also hier herum, sehe diesen Typen und beobachte, wie er eine riesige Leimflasche zückt, das Papier großzügig damit einschmiert, es gerade an einer Hauswand befestigen will – und dann kurz innehält und dreimal auf das Blatt niest.

Ist das sowas wie das „Toi-Toi-Toi- Über die Schulter spucken“? Bringt es Glück? Hält das Plakat so etwa besser? Werden so mehr Leute auf seine Anzeige reagieren? Wird auch dieses Plakat bald Teil einer hypermodernen, alternativen, ganz ganz neuen und innovativen Kunstinstallation sein?

Fragen über Fragen kommen mir in den Sinn (ja, ich war etwas müde und nach müde kommt bekanntlich dumm). Immerhin auf eine Frage habe ich jetzt endlich mal eine Antwort gefunden: Bin ich eigentlich die Einzige, die jedes Mal gleich dreimal am Stück niesen muss? Offenbar nicht.

Dienstag, 23. September 2014

Vom Hund, der Straße und den armen Trampern

Ich reise gerne und derzeit auch recht unverschämt viel. Da komme ich nicht umhin, das ein oder andere Verkehrsmittel zu benutzen, zumal ich insgesamt doch eher lauf-faul bin. Naja, man könnte es auch auf generell faul herunterbrechen. Egal, nicht das Thema.

Nutzt man ab und an oder auch öfter das ein oder andere Verkehrsmittel, zumal in fremden Landen, dann sammeln sich lustige Anekdoten an, aus denen man sehr gut einen hoffentlich lustigen Blogpost machen kann, wenn man eigentlich gerade Hausarbeit schreiben sollte. Hier ist er also, der Quoten-Hausarbeits-Post, frisch aus der Uni-Bib, wo ich derzeit lustige Youtube-Videos schaue und damit anderen Studenten den Arbeitsplatz wegnehme.
Welche Verkehrsmittel gäbe es hier also abzuarbeiten? Auto, Füße, Fahrrad, Boot, Straßenbahn, Zug, Bus, Minibus, Flugzeug. Exoten wie Rikscha, Mehr-Personen-Moped & Co. lasse ich absichtlich weg, meine Fernostaufenthalte sind schließlich längst verjährt und ehrlich gesagt, habe ich da eh nur das Taxi benutzt, meine ich mich zu erinnern.

Nun denn, Auto. Ich habe tatsächlich einen Führerschein, und nachdem ich neulich mein Zimmer erst auf- und dann ausräumen musste, besitze ich ihn auch wieder ganz aktiv. Vorher hatte ich etwa 1,5 Jahre lang mit Vergnügen die Formulierung „Ich habe meinen Führerschein verloren“ der anderen Variante („Ich finde ihn grade nicht“) vorgezogen, das klang so kriminell und abenteuerlich. Auch wenn ich also selten bis nie selbst Auto fahre, habe ich während dieses Sommers doch recht viel Zeit in Autos verbracht, da ich irgendwann im letzten Jahr das Trampen als Lieblings-Fortbewegungsart für mich entdeckt habe. Es ist günstig, oft schneller als die Bahn, man trifft gelegentlich sehr spannende Menschen und es vermittelt tatsächlich diese „Alles ist möglich!“-Stimmung, die Jack Kerouac uns in „On the Road“ näherbringen wollte. Theoretisch könnte ich jederzeit die Straßenseite wechseln und woandershin davonbrausen. Theoretisch. Denn auch wenn ich immer wieder begeistert davon schwärme, wie super trampen fast immer funktioniert, gibt es eben doch die wenigen Fälle, wo es absolut GAR NICHT funktioniert. So geschehen, als ich neulich zum Flughafen trampte und dabei meinen Flug nach Irland knapp verpasste. Diese Geschichte ist recht langweilig und lässt sich damit zusammenfassen, dass an jenem Tag halt leider kein anderer von Jena nach Berlin fahren wollte, obwohl das sonst echt immer funktioniert. Daher jetzt eine andere Geschichte in ausführlich; es war einmal in den bulgarischen Bergen…
Ein wolkenverhangener Tag mit der ständig lauernden Gefahr, dass es bald so richtig losregnen könnte. Das Rila-Gebirge im Südwesten Bulgariens, ein verhältnismäßig touristisches Gebiet, weil sich dort ein riesiges hübsches Kloster befindet. Eine Straße ohne Abzweige bis zum nächsten Ort, drei freundliche lächelnde Mädchen. Das ist eigentlich die optimale Tramper-Situation, da man gleich mehrere Mitleidskarten ausspielen kann.

1. Es regnet. Du kannst doch niemanden im Regen stehen lassen, du Unmensch!
2. Drei Mädchen. Man lässt doch keine armen Mädchen im Regen stehen. Wer weiß schon, wer sie sonst an deiner Stelle mitnimmt?
3. Die Umgebung. Deine christliche Nächstenliebe kann doch nicht an der Pforte des Klosters enden.
4.  Die Straße. Wir wollen ja nur in die nächste Stadt, da stören wir dich ja gar nicht lange.
5.  Es regnet immer noch. Wir gucken ja schon ganz traurig. Hast du denn gar kein Herz?

Da stehen wir also und stehen und stehen und winken und lächeln, gucken mal herzzerreißend traurig, mal leicht genervt, zittern noch mehr als eigentlich notwendig, lassen unsere nassen Haare im Wind flattern, lächeln, lächeln, lächeln irgendwann nicht mehr und beschimpfen den Hund.

Mit einem Hund zu trampen ist offenbar nicht die beste Variante, dabei ist das alles nur ein Missverständnis! Was uns nämlich fehlt, ist ein Schild mit der Aufschrift: „Dieser Hund gehört uns doch gar nicht!“ Der Hund gehört dem Kloster oder wahrscheinlich eher sich selbst, und wir sammeln ihn aus Versehen genau dort ein, als wir zu einer kleinen Wanderung aufbrechen. Der Hund ist nicht besonders schlau, aber sehr nett, und begleitet uns ungefragt über Stock und Stein, bellt für uns auch mal ein paar unschuldige Kühe an und freut sich über Essen. Als wir dann zurück beim Kloster sind, vertreibt ihn der Restaurantbesitzer für uns, kriegt daher kein Trinkgeld von uns und wir finden’s schade, dass wir uns gar nicht richtig verabschieden können vom Hund. Als wir beschließen, nicht zwei Stunden auf den nächsten Bus zu warten, sondern in die nächste Stadt zu trampen, ist der Hund plötzlich wieder da. Und er kommt mit.

So wandern wir und der Hund also eine geschlagene Stunde an der Straße herum und schließlich wieder zurück, nachdem wir wirklich alle erdenklichen Gesichtsausdrücke ausprobiert haben (wir Menschen, der Hund nicht, der kann nur treudoof und lieb gucken). Mittlerweile ist der Bus natürlich da, wir steigend triefend nass, gedemütigt ein und lassen den Hund ein weiteres Mal zurück. Ich habe mich geirrt, er kann auch traurig gucken. 

Dienstag, 28. Januar 2014

Von Internationaler Solidarität und Lokaler Passivität

Ich habe neulich in einer Diskussion, oder einem Gespräch, die Meinung geäußert, dass ich ein Problem darin sehe, wenn wir als Individuen oder auch Gruppierungen hier (in Europa, in Westeuropa, in Deutschland, in Jena, in der Studentenschaft Jena) versuchen, Probleme von „woanders“ zu lösen, über die wir nur dank moderner Kommunikationstechnologie informiert sind und an denen wir demnach höchstens mitfühlend, also indirekt teilhaben.

Ich erinnere mich, dass ich ähnliche Diskussionen schon mal im PoWi-Unterricht in der Schule geführt habe, wo mir wegen dieser Einstellung fehlende Internationale Solidarität vorgeworfen wurde (ich glaube, es ging um die Idee, den Menschen im Irak und Afghanistan die Demokratie näherzubringen, was ich bedenklich fand). Damals wie heute beteiligte ich mich an der Diskussion mit ausgeprägtem Halbwissen, weniger ausgeprägten grundsätzlichen Idealen und Politikverständnis und großer Freude am Diskutieren an sich.

Ich denke immer noch, dass politisches Engagement in erster Linie lokal erfolgen muss, vor allem, wenn man als Individuum agiert. Ich denke auch immer noch, dass man bei seiner Meinungsbildung und bei der Rechtfertigung, warum man selbst durch eine Situationen betroffen ist, immer bedenken muss, in welcher Gesellschaft man sich befindet (in Europa, in Deutschland, in einem der neuen Bundesländer, in der Studentenschaft, oftmals unter Geisteswissenschaftlern, oftmals unter Akademikerkindern). Meine eigene Zuordnung in diesen Bereichen macht es mir beispielsweise schwer, mich mit Problemen von Arbeitern und Aktivisten in Bukarest zu solidarisieren, weil ich dabei immer Angst habe, aus einer gönnerhaften, elitären, arroganten Komfortzone heraus zum Aktivismus und zur Anteilnahme aufzurufen. Anteilnahme an einem Zustand, der mich als Individuum eben nicht direkt betrifft.

Warum ich hier so theoretisch vor mich hinfasele? Erstens ist Prüfungsphase, also bin ich immer auf der Suche nach kreativen und vermeintlich produktiven Prokastinations- Methoden (=bloggen). Zweitens ist in der Ukraine gerade Revolution und immer wieder geistern entsprechende Meldungen meiner ukrainischen (Facebook-)Freunde über meine Timeline, bei denen ich mich frage, ob ich sie „liken“ soll.

Als diese Revolution begann, war ich gerade mit einigen Ukrainern zusammen in einem georgischen Bergdorf auf einem EU-geförderten Seminar. Für mich, als halbwegs politisch interessierten und halbwegs sensations-geilen Menschen, war dies ein Privileg: ich konnte gleichzeitig durch die deutsche Berichterstattung stöbern und mir die Berichte dann live von „Experten“ bestätigen oder zerreißen lassen. Für die drei UkrainerInnen war es schrecklich, weil sie in einem georgischen Bergdorf saßen und „Experte“ spielen durften, während ihre Freunde auf dem Maidan-Square in Kiew ausharrten und dort Gott-weiß-was erlebten.

Vor ein paar Tagen dann hatten eben diese Ukrainer plötzlich alle ein schwarzes Facebook-Profilfoto, was auf mich eine sehr erschreckende Wirkung hatte. Das letzte Mal, dass eine „Nation“ meiner Facebook-Freunde kollektiv schwarz getragen hat, wurden in georgischen Gefängnissen Insassen gefoltert und vergewaltigt. Ich saß damals geschockt vor meinem Bildschirm, dachte „Was ist da nur los?“ und recherchierte wenig erfolgreich in den deutschen Medien. So, wie ich es auch jetzt mit der Ukraine tue, wo die Revolution laut Berichten bereits mehrere Todesopfer gefordert hat. (Die Revolution? Nicht vielleicht die Regierung oder die Polizei?)

Und eben diese Situation, dass ich hier sitze und versuche, herauszufinden, was dort eigentlich los ist, erscheint mir so falsch. Dort.
Und was ist hier los? Weiß ich das? Und wenn ich weiß, was hier los ist, was hier falsch ist, veranlasst mich das dazu, etwas daran zu ändern?
Ehrlich gesagt nicht. Ehrlich gesagt bin ich nämlich auch hier, wo ich ja folgerichtig selber der „Experte vor Ort“ bin, viel zu unsicher und uninformiert und unentschlossen, um Stellung zu beziehen, Meinungen zu bilden, zu vertreten und zu verteidigen.



Am Donnerstag findet an meiner Uni eine Podiumsdiskussion mit ukrainischen StudentInnen statt. Ich werde wohl hingehen, auch wenn ich bis Donnerstag wahrscheinlich immer noch nicht lokal aktiv geworden bin.