Ich habe neulich in einer Diskussion, oder einem Gespräch, die
Meinung geäußert, dass ich ein Problem darin sehe, wenn wir als
Individuen oder auch Gruppierungen hier (in Europa, in Westeuropa, in
Deutschland, in Jena, in der Studentenschaft Jena) versuchen,
Probleme von „woanders“ zu lösen, über die wir nur dank
moderner Kommunikationstechnologie informiert sind und an denen wir
demnach höchstens mitfühlend, also indirekt teilhaben.
Ich erinnere mich, dass ich ähnliche Diskussionen schon mal im
PoWi-Unterricht in der Schule geführt habe, wo mir wegen dieser
Einstellung fehlende Internationale Solidarität vorgeworfen wurde
(ich glaube, es ging um die Idee, den Menschen im Irak und
Afghanistan die Demokratie näherzubringen, was ich bedenklich fand).
Damals wie heute beteiligte ich mich an der Diskussion mit
ausgeprägtem Halbwissen, weniger ausgeprägten grundsätzlichen
Idealen und Politikverständnis und großer Freude am Diskutieren an
sich.
Ich denke immer noch, dass politisches Engagement in erster Linie
lokal erfolgen muss, vor allem, wenn man als Individuum agiert. Ich
denke auch immer noch, dass man bei seiner Meinungsbildung und bei
der Rechtfertigung, warum man selbst durch eine Situationen betroffen
ist, immer bedenken muss, in welcher Gesellschaft man sich befindet
(in Europa, in Deutschland, in einem der neuen Bundesländer, in der
Studentenschaft, oftmals unter Geisteswissenschaftlern, oftmals unter
Akademikerkindern). Meine eigene Zuordnung in diesen Bereichen macht
es mir beispielsweise schwer, mich mit Problemen von Arbeitern und
Aktivisten in Bukarest zu solidarisieren, weil ich dabei immer Angst
habe, aus einer gönnerhaften, elitären, arroganten Komfortzone
heraus zum Aktivismus und zur Anteilnahme aufzurufen. Anteilnahme an
einem Zustand, der mich als Individuum eben nicht direkt betrifft.
Warum ich hier so theoretisch vor mich hinfasele? Erstens ist
Prüfungsphase, also bin ich immer auf der Suche nach kreativen und
vermeintlich produktiven Prokastinations- Methoden (=bloggen).
Zweitens ist in der Ukraine gerade Revolution und immer wieder
geistern entsprechende Meldungen meiner ukrainischen
(Facebook-)Freunde über meine Timeline, bei denen ich mich frage, ob
ich sie „liken“ soll.
Als diese Revolution begann, war ich gerade mit einigen Ukrainern
zusammen in einem georgischen Bergdorf auf einem EU-geförderten
Seminar. Für mich, als halbwegs politisch interessierten und
halbwegs sensations-geilen Menschen, war dies ein Privileg: ich
konnte gleichzeitig durch die deutsche Berichterstattung stöbern und
mir die Berichte dann live von „Experten“ bestätigen oder
zerreißen lassen. Für die drei UkrainerInnen war es schrecklich,
weil sie in einem georgischen Bergdorf saßen und „Experte“
spielen durften, während ihre Freunde auf dem Maidan-Square in Kiew
ausharrten und dort Gott-weiß-was erlebten.
Vor ein paar Tagen dann hatten eben diese Ukrainer plötzlich alle
ein schwarzes Facebook-Profilfoto, was auf mich eine sehr
erschreckende Wirkung hatte. Das letzte Mal, dass eine „Nation“
meiner Facebook-Freunde kollektiv schwarz getragen hat, wurden in
georgischen Gefängnissen Insassen gefoltert und vergewaltigt. Ich
saß damals geschockt vor meinem Bildschirm, dachte „Was ist da nur
los?“ und recherchierte wenig erfolgreich in den deutschen Medien.
So, wie ich es auch jetzt mit der Ukraine tue, wo die Revolution laut
Berichten bereits mehrere Todesopfer gefordert hat. (Die Revolution?
Nicht vielleicht die Regierung oder die Polizei?)
Und eben diese Situation, dass ich hier sitze und versuche,
herauszufinden, was dort eigentlich los ist, erscheint mir so
falsch. Dort.
Und was ist hier los? Weiß ich das? Und wenn ich weiß,
was hier los ist, was hier falsch ist, veranlasst mich das
dazu, etwas daran zu ändern?
Ehrlich gesagt nicht. Ehrlich gesagt bin ich nämlich auch hier,
wo ich ja folgerichtig selber der „Experte vor Ort“ bin, viel zu
unsicher und uninformiert und unentschlossen, um Stellung zu
beziehen, Meinungen zu bilden, zu vertreten und zu verteidigen.
Am Donnerstag findet an meiner Uni eine Podiumsdiskussion mit
ukrainischen StudentInnen statt. Ich werde wohl hingehen, auch wenn
ich bis Donnerstag wahrscheinlich immer noch nicht lokal aktiv
geworden bin.