Mittwoch, 24. Oktober 2012

Alles auf Anfang

Heute hatte ich meine erste Georgisch-Stunde in Jena und habe ungefähr die gesamten 90 Minuten gegrinst, gegrinst, gegrinst.

Vorstellungsrunde. Das kenne ich schon von all den anderen Seminaren, Vorlesungen, Sprachkursen. Mein Studiengang (Südosteuropastudien) ist so klein und offenbar so ungewöhnlich, dass jeder einen ganz persönlichen Grund hat, warum er sowas studiert. Georgisch ist nun wiederum eine so kleine und ganz sicher ungewöhnliche Sprache, dass wirklich jeder einen verdammt speziellen Grund hat. Die Varianten "Bin mal durch Georgien gereist" und "habe eine georgische Freundin" sind unter den etwa 10 Teilnehmern recht verbreitet, am besten gefällt mir jedoch diese Begründung: "Ich fand die Schrift so schön."

Außer mir sitzt noch eine georgische Muttersprachlerin im Kurs, alle anderen sind blutige Anfänger.

Wir lernen also zunächst die georgischen Buchstaben. Wie vor einem Jahr - jeder Buchstabe sieht anfangs aus wie ein kompliziertes Miniaturkunstwerk. und damit wir (bzw die anderen) uns das auch merken können, versucht unsere Lehrerin Natia es mit Eselsbrücken.

- i   "...wie ein Hufeisen!"
- a   "...wie ein Haken!"
- e   "...wie eine Tackernadel!"
- o  "...wie ein Herz ohne Spitze!"

Bei "" (u) fällt Natia so schnell kein Vergleich ein.
"Wie sieht das aus?"
der Kurs - einstimmig: "Schööööööön!"

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Nach und nach lernen wir zu den Buchstaben schon einfach Wörter.
"gogo" (Mädchen), "didi" (groß),...
Beim w fällt selbstverständlich "vaime!" (Alter Schwede!) und die Muttersprachlerin und ich müssen lachen.

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Am Ende der Stunde sagt Natia: "Jetzt könnt ihr sogar schon einen kleinen Satz schreiben!"
Die Muttersprachlerin und ich murmeln leise im Chor: "Ai ia!" (Hier, ein Veilchen!)

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Meine Lehrerin Natia fragt mich nach der Stunde, ob ich mich auch nicht gelangweilt habe.
"Nein, es war soooo schöööön!"
Mit einem erinnerungsseligen Lächeln im Gesicht beeile ich mich, um wenigstens das Ende der Vorlesung, die ich gerade für Georgisch verpasst habe, mitzuerleben.

Freitag, 19. Oktober 2012

Besser als die Russen!


[Deutsche Botschaft Tiflis, Georgien, irgendwann im Januar 2012]
Ich warte auf ein deutsches Visum (für eine Schülerin). Auf ein Deutsches Visum warten kann durchaus ein recht zeitraubender Vorgang sein, deswegen nutze ich die Zeit und lerne georgische Vokabeln. Früher oder später fällt das anderen wartenden Georgiern auf und ich gerate in das übliche „Was machst du hier und ja wie, du sprichst Georgisch?“-Gespräch. Diese Gespräche erlebe ich oft in Georgien und meist endet es damit, dass ich den Satz „Der Frosch quarkt im Wasser“ alias „baqaqi zqalshi qiqinebs“ („q“ steht für ein würgendes Knackgeräusch) deklamieren muss. Die Anwesenden sind begeistert ob meiner Georgisch-Kenntnisse und einer der Anwesenden ist völlig baff und beeindruckt: „Du bist besser als die Russen!“

[ein Teehaus in Doğubeyazıt, Osttürkei, im Juli 2012]

Wir reisen ein bisschen durch Kurdistan und treffen mitten auf der Straße – einen Deutschlehrer. Dieser ist Deutschtürke und begeistert, mal jemand anderen als „diese Türken“ zu treffen und läd uns auf ein Bier ein. Wir sind ehrlich gesagt auch ein bisschen froh, mal jemand anderen als „diese Türken“ zu treffen und sagen zu. Im Laufe des Abends reden wir natürlich auch über Sprachen, sagen unseren mageren türkischen Wortschatz (1-20, was kostet das, schönes Mädchen, fick dich) auf und unser Gegenüber ist begeistert: „Ihr klingt wie echte Türken!“

[ein Seminarraum in Jena, Deutschland, Oktober 2012]

Ich lerne jetzt Serbisch, in meinem Kurs sitzen neben ein paar Deutschen zwei Bulgaren, ein Russe, ein Grieche, ein Slowake und ein Südkoreaner. Wir fangen bei null an, stellen uns gegenseitig vor, zählen bis zehn. Ich freue mich, dass ich in Georgien gelernt habe, wenigstens täuschend echt so zu tun, als könne ich das R rollen. Ich freue mich, dass ich in Georgien doch des Öfteren Kyrillische Buchstaben gesehen habe und die meisten – zumindest passiv und in Großbuchstaben – drauf habe. Und ich merke, dass es nützlich war, wenn mir auf dem Markt in Tiflis keiner glauben wollte, dass ich kein Russisch, dafür aber Georgisch kann: Ich weiß so in etwa, wie Russisch klingt. Nach der Stunde fragt mich Ina aus Bulgarien, welche andere slawische Sprache ich denn schon spreche. „Keine!“ Sie kann es kaum glauben.
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Ich mag Sprachkomplimente, fiel mir die Tage so auf…


Mittwoch, 3. Oktober 2012

Was habe ich eigentlich im August getan...?

[was ich im September tun wollte, aber nicht getan habe: Berichte über meine Reise schreiben, die all den Menschen, Situationen, Abenteuern, Orten... gerecht werden. Was ich getan habe: Eine Art Zusammenfassung für den Lauterbacher bzw Gießener Anzeiger zu schreiben. Genaueres folgt, hoffentlich]
ungefähre Route

Knapp viertausend Kilometer, sieben Sprachen mit drei verschiedenen Schriften, ein Meer und viele Berge liegen zwischen Tiflis und Engelrod. Für die einen bedeutet das etwa sechs Stunden Flugzeit, für die anderen etwa einen Monat Reisezeit. Ich gehöre zu den Anderen.
Elf Monate habe ich in der Hauptstadt der Republik Georgien gelebt und in einem war ich mir sicher: Flöge ich zurück, stände mir ein ordentlicher Rückkehrschock bevor. Darauf habe ich keine Lust, auf einen Monat Reisen hingegen schon. So packe ich am 1.August meine Sachen, wuchte mir den Rucksack auf den Rücken und fahre los.

Ich durchquere den Norden der Türkei, schaue mir verschiedene Ecken des Balkans an, mache einen Zwischenstopp in Slowenien und fahre dann über Österreich bis nach Berlin. Auf meiner Reise treffe ich viele Menschen aus allen Ecken der Welt, sehe schöne Städte und Strände, esse gut und günstig, schlafe in Bussen, Zügen, Hostels, Hotels und auf Isomatten – kurz gesagt: es gibt viele Fotos und noch mehr Geschichten. 

Die Meisten, denen ich auf der Reise begegne, reisen von West nach Ost. Meine Richtung ist das Gegenteil und das prägt auch meine Wahrnehmung. Ich vergleiche die Länder nicht mit Deutschland, sondern mit Georgien; mir entfährt kein spontanes „Entschuldigung“ oder „Alter Schwede!“ sondern die georgische Variante mit „ukazravad“ und „vaime!“. Ich will mich mit dieser Reise auf Deutschland vorbereiten und an den Alltag in Deutschland erinnern. Das gelingt mir recht gut, denn in jedem Land gerate ich in die eine oder andere Situation, die mich denken lässt: „Typisch Europa!“ Die Fotos und Geschichten, die ich mitgebracht habe, sind geprägt von diesem immer wiederkehrenden Eindruck. 


Straßenstände - oben Türkei, unten Georgien
In der Türkei ergeht es mir vor allem in Istanbul so, dem Tor zu Europa. Mitten durch die Stadt verläuft die Grenze zwischen den beiden Kontinenten. Es gibt da zwar unzählige Basare in kleinen Gässchen, die – wenn auch teils sehr touristisch – an 1001 Nacht erinnern. Ein paar Meter weiter aber findet man breite Einkaufsstraßen, hier herrschen dieselben internationalen Marken wie in den deutschen Innenstädten. Istanbul liegt immerhin etwa 1000km westlich von Georgien. Das merke ich auch an den Touristenströmen, die ich aus Tiflis nicht gewohnt bin. Ich befinde mich nun an einer offiziellen Grenze zu Europa und damit ganz offensichtlich auch im Einzugsgebiet von all den Australiern und Amerikanern, die mit „Lonely Planet – Europe on a shoestring“ umherreisen. 


Mülltonnen - oben Georgien, unten Bulgarien
Mein nächstes Ziel ist Bulgarien,  zum ersten Mal seit elf Monaten betrete ich wieder einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Erinnern mich viele Ecken Bulgariens sehr an Georgien, so gibt es auch gleichzeitig viele Indizien dafür, dass man hier den Gesetzen der EU unterliegt – zumindest oberflächlich. Mülltrennung! Wie konnte ich nur vergessen, dass diese Idee in vielen Ländern existiert? Ein Jahr lang gab es für mich nur eine Mülltonne, jetzt stehe ich gleich dreien gegenüber – grün, gelb, blau? Ja, jetzt kann ich ein bisschen nachvollziehen, wie man sich als Ausländer in Deutschland fühlen muss. Ich hoffe, dass keiner hinschaut und verteile meinen Müll dann nach Bauchgefühl in die Tonnen. Ein paar Wochen später erfahre ich, dass das Prinzip der Mülltrennung in Bulgarien doch nicht allzu weit gediehen ist – spätestens die Müllabfuhr schmeißt alles wieder zusammen!


die Schönheiten Rumäniens - oben ein Schloss in Transsilvanien, unten ein Cafe in Bukarest
Weiter führt mich meine Reise nach Rumänien, wo ich feststelle, wie sehr ich mich schon an das Leben im Osten von Osteuropa gewöhnt habe. Auf der Tour haben mich viele der Reisenden, die von Westen (Deutschland, Schweden, Belgien) kommen, vor der grauen Tristesse aus kommunistischer Architektur in Bukarest gewarnt. Schön seien hingegen die kleineren Städte in Transsilvanien und Siebenbürgen, für Bukarest reiche ein Tag. Ja, schön ist es schon in den Wäldern und Kleinstädten dieser Gebiete, aber auf eine sehr deutsche Art. Fachwerk, Bäckereien, Apfelstrudel? Die frühere deutsche Besiedelung fällt im Stadtbild sofort auf. Das ist einerseits schön, aber andererseits für mich ein bisschen zu früh: nach Deutschland wollte ich doch erst in ein paar Wochen!
Da gefällt mir Bukarest schon besser. Während meines Jahres in Georgien habe ich die grauen Plattenbauten aus der kommunistischen Ära auf eine seltsame Art liebgewonnen. Außerdem, warum hat mir keiner von all den gemütlichen und kreativ gestalteten Cafés in Bukarest erzählt, den Parks, den schönen Ecken eben? Wahrscheinlich, weil man die erst mal suchen und finden muss und dafür eben nicht ein einziger Tag reicht. Ich habe das Gefühl, dass es mir – zumindest unter anderem – deswegen so gut gefällt, weil ich von „Osten“ komme und gerade nicht an die perfekte Schönheit touristischer Hauptstädte Europas gewohnt bin. Denn touristisch ist Bukarest wirklich nicht.


Spezialitäten Sloweniens, oben 'Pizza Burek', unten 'Kremsnita'


Als ich ein paar Tage später in Slowenien ankomme, kann ich schnell nachvollziehen, warum die Slowenen sich nicht als Ost- sondern als Mitteleuropäer sehen: Mit Ljubljana erwartet mich eine gemütliche, kleine Hauptstadt, in der man für das Überqueren einer roten Ampel (als Fußgänger!) 50 Euro zahlt. Euro? Ach ja, das ist diese Währung, wo die Scheine so seltsam gedrungen aussehen und aus so komisch festem Papier bestehen; diese Währung, die ich noch vor einem Jahr nicht hätte beschreiben können – und wenn ich es doch versucht hätte, hätte ich die Worte „seltsam“ und „komisch“ sicherlich nicht in den Mund genommen. Eigentlich sollte Slowenien also das erste Land sein, in dem ich die Währung nicht mehr umrechnen muss, ich aber werde noch einige Wochen lang Euro in Lari (georgische Landeswährung) umrechnen. 
Ein paar der Währungen, die mir auf der Reise begegneten - und der gute, alte Euro
Slowenien ist eine perfekte Mischung aus dem, was nun hinter mir liegt (Osteuropa) und dem, was mich erwartet (Mitteleuropa): Die Nähe zum Balkan bemerke ich an Spezialitäten wie der „Pizza Burek“, die Nähe zu Österreich an der „kremšnita“ (gesprochen Kremschnita, auf Deutsch ganz einfach Cremeschnitte).

Ende August erreiche ich schließlich Deutschland und bin tatsächlich vorbereitet: Ich verstehe jedes Wort? Ist ja wie in Österreich. Strafgelder? Gibt’s auch in Slowenien. Fachwerk und malerische Kleinstädte kenne ich aus Rumänien. Das einzige, was mir ein bisschen fehlt, ist die Entspanntheit der Menschen, wie ich sie aus Georgien und eben dem Balkan kenne: Die Menschen sind verschlossen, die Bahnen überteuert und unpünktlich. Habe ich gerade über Unpünktlichkeit gemeckert? Nach 30 Tagen in überfüllten, quälend langsamen Zügen in Osteuropa, wo man mehrere Stunden Verspätung ganz normal einkalkuliert? Ich bin wohl doch deutscher und unentspannter, als ich dachte.