Montag, 15. Dezember 2014

Rückschritt oder Rückkehr

Ich habe wirklich lange überlegt, ob ich für ein Semester nach Tbilisi zurückkehren soll. Ich habe wirklich lange ein Dokument auf meinem Desktop liegen gehabt, das „Rückkehr oder Rückschritt“ hieß. Ich habe die ersten Wochen, als ich wieder hier war, nicht den Mut gehabt, dieses Dokument zu öffnen, weil ich die Argumente für „Rückschritt“ nicht schwarz auf weiß lesen wollte. Die Argumente für „Rückkehr“ präsentierten sich mir schließlich Schritt auf Tritt, mit allen Farben, Gerüchen, Geschichten, Gegenden, allem Wahnsinn, den diese Stadt – zumindest mir – zu bieten hat.
 
Es ist dieselbe Stadt, es ist sogar dieselbe Wohnung und dasselbe Zimmer. Ich kaufe denselben Wein bei derselben Weinfrau, gehe zum selben Gemüsemann und sitze auch bei Kälte auf demselben Balkon.

Ich fahre mit anderen Buslinien, weil die Uni in einem anderen Viertel ist als meine Arbeitsstelle damals. Ich rede fast kein Deutsch, weil all die Deutschen von damals nicht mehr hier wohnen. Ich gehe in andere Bars, weil unsere Lieblingsbar in unserer Straße nicht mehr dieselbe ist und es jetzt besseres gibt. Es gibt mehr und mehr Momente in diesen Bars, wo wir die Gespräche ins Georgische abgleiten lassen, ohne dabei die Tiefe, den Witz oder auch die Oberflächlichkeit des Gesprächs zu verlieren. Es wird natürlicher, es wird ab und zu, und immer öfter, möglich, meinen Humor auf Georgisch auszudrücken. Ich gehe in einen anderen, riesigen, französischen Supermarkt, weil der georgische bankrott ging. Ich spreche nicht mehr so viel über die Homophobie in Georgien, das war das Thema des Sommer 2013, es gibt neue Themen. Neue unangenehme Erfahrungen, neue Erkenntnisse, neue Probleme, neue Schicksale.

Ich habe mittlerweile fast anderthalb Jahre hier gewohnt, natürlich sehe ich nicht jeden Tag nur das leckere Essen, den günstigen Wein, die Schönheit des Verfallenen. An manchen Tagen sehe ich nur das Fett im Essen, den Zucker am Boden des Weinglases und die brutale Realität des Verfalls.
Es ist eine Rückkehr in gewohntes, es ist das Weitergehen mit neuen Freunden, neuen Gegenden, neuen Momenten, es gibt nicht jeden Tag ein neues Abenteuer, aber es fühlt sich jeden Tag richtig und richtiger an, dass ich zurückgekehrt bin.



Umso besser, dass schon in einer Woche eine neue Rückkehr auf Zeit ansteht. 2 Wochen voller Plätzchen, Völlerei, Geschenken, Aschenbrödel, Sissi, dem kleinen Lord, allen jemals verfilmten Astrid Lindgren- Geschichten, voll von Frankfurt, Engelrod, Berlin, Jena und Köln und den Leuten dieser Orte werden es sein.