Dienstag, 18. Dezember 2012

Gen Osten - endlich mal wieder

Georgisches Borjomi-Wasser // Ausblick von einem Kirchturm // ein hässlicher Weihnachtsbaum

Es gibt unterschiedlichste Methoden, Zeit zu messen: Kerzenuhren, Sonnenuhren, Stoppuhren. Sekunden, Minuten, Tage, Wochen, Monate, Jahre. Augenblicke.

Vor Weihnachten gibt es dann das bekannte – nicht messbare –  Phänomen, dass die Zeit gleichzeitig rast und schleicht. Sie rast, weil man noch lange nicht alle Geschenke hat, weil man ja noch Plätzchen backen, einen Baum fällen, Lieder singen, besinnlich sein etc. wollte. Sie schleicht, weil die Zeit vor Ferien halt immer schleicht. 

Dieses Phänomen, dass die Zeit gleichzeitig rast und schleicht hat aber nicht unbedingt was mit Weihnachten zu tun, sondern einfach mit besonderen Zeitpunkten. So ein besonderer Zeitpunkt war beispielsweise auch das erste Adventswochenende: Der Zeitpunkt meiner ersten Reise, seit ich im September wieder deutschen Boden betreten habe. Und jetzt dürfen alle, die mich kennen, denken, dass das ja wohl wieder typisch Nora sei:
1. Die Reise ging nach Osten (Polen, um genau zu sein).
2. Gezahlt hat der Steuerzahler (die Uni, um genau zu sein).

Hier also mal wieder etwas, das hoffentlich nicht nur Reisebericht ist:
Vor dem Wochenende geht die Zeit eigentlich ihren gewohnten Weg, weil die ganze Planung recht entspannt ist.
Anders gesagt, ich selbst muss gar nichts planen, sondern nur auf die Frage: „Wer will mit auf Exkursion?“ mit „Ich!“ antworten und dann abwarten. Außerdem kann ich es irgendwie eh noch nicht so ganz glauben, dass ich mal so eben für ein Wochenende nach Polen fahre. 
Am Freitag geht es dann los: Mit einer Millionen Regionalzüge fahren wir gen Osten. Es wird dunkler, die Züge ein bisschen leerer, irgendwann kurz vor der polnischen Grenze schnappe ich die ersten slawischen Gesprächsfetzen auf. 
Ich hätte jetzt auch „polnische Gesprächsfetzen“ schreiben können, aber für mich ist es allein schon schön, etwas Slawisches zu hören, was genau ist mir relativ egal. Für mich ist es auch allein schon schön, irgendwohin gen Osten zu fahren, wohin genau ist mir relativ egal.
Wir erreichen unser Ziel (Breslau) im Dunklen, steigen aus, werden vom Dozenten auf den wunderschönen Bahnhofsbau hingewiesen, suchen der Reihe nach nach einer Bank, einer Wechselstube und unserem Hostel. Finden schließlich alles, finden unser Hostel ziemlich schön, finden unsere Mägen ziemlich leer und machen uns auf Restaurantsuche. 
Auch wenn es dunkel ist, kann man natürlich die üblichen riesigen Reklame-Schilder nicht übersehen und ich freue mich gleich mal eine Runde darüber, dass ich fast nichts verstehe. Über das „nichts“ freue ich mich, weil es bedeutet, dass ich wieder auf Reisen, auf unbekanntem Terrain bin. Über das „fast“ freue ich mich, weil es bedeutet, dass mir meine neuen minimalen Serbisch/Kroatisch-Kenntnisse sogar schon in Polen helfen, wie toll wird das erst in Serbien/Kroatien werden?
Wir marschieren Richtung Innenstadt (unser Dozent marschiert vor, denn er hat eine Karte, wir marschieren hinterher, denn ohne Karte muss man sich ja auf irgendwen verlassen). Auch in Breslau hat man mitbekommen, dass bald Weihnachten ist und dementsprechend dekoriert.
Ich freue mich sogar über die kitschige Weihnachtsbeleuchtung. Irgendwie eine Mischung aus dem, was man aus Deutschland kennt, und dem, was ich aus Osteuropa (Georgien und Armenien) kenne: Ein gemütlicher Weihnachtsmarkt, wo man Glühwein, Crêpes, herum schlurfende Weihnachtsmänner, handgestrickte Socken und Ähnliches kaufen kann – wie in Deutschland. Unglaublich absurd kitschige Weihnachtsbeleuchtung, dadurch taghelle Straßenzüge, ein absolut übertrieben hässlich dekorierter Weihnachtsbaum – wie in Georgien und Armenien.
Wir passieren einige Fastfood-Läden, einige überfüllte traditionellere Restaurants, laufen im Kreis, werden immer hungriger, sind schließlich bereit, egal wohin zu gehen – und gehen in ein Georgisches Restaurant. 
Ich freue mich, und zwar wieder aus zwei Gründen: Der erste ist offensichtlich, es ist halt ein georgisches Restaurant und meine letzte georgische Mahlzeit ist fast so lange her wie meine letzte Reise, es wird also dringend mal wieder Zeit, auch wenn ich natürlich eigentlich jetzt Polnisch essen sollte. Der zweite Grund ist ein bisschen subtiler (und darüber freue ich mich auch nicht ganz so sehr): Ich habe das Restaurant nicht nur am Namen („Chatschapuri“) erkannt, sondern genauso am Untertitel „Gruzinski“, was wiederum für meine Slawisch-Kenntnisse spricht.
Wir essen, gehen wieder ins schöne Hostel und suchen dann das Nachtleben Breslaus. Wir finden eine „Rock’n’Roll-Party“ und anderes. Fürs Frühstück am nächsten Morgen ist die Truppe weitestgehend wieder fit, was man angesichts der riesigen Mengen, die das gemütliche Café direkt unter unserem Hostel für sehr freundliche Preise serviert, auch sein sollte. 

Die Sonne scheint, der Schnee glitzert (die Straßenbeleuchtung ist noch ausgeschaltet), Breslau soll auch im Hellen eine sehr schöne Stadt sein und das gehen wir dann mal überprüfen. 
Wie jede Stadt, die einen Fluss und dementsprechend die ein oder andere Brücke sein eigen nennt, wird auch Breslau ab und an als „das Venedig des…“ angepriesen. Ich war (vor langer Zeit) im echten Venedig, ich war auch schon mal kurz in Amsterdam, Hamburg und Sankt Petersburg. Ich kann also bestätigen: Das sind alles überaus hübsche Städte, wo es Fluss samt Brücken gibt. Wenn das also das einzige Kriterium für die Auszeichnung „das Venedig des…“ ist, darf Breslau diese mit Stolz tragen: Sehr hübsche Stadt, Fluss und Brücken vorhanden.
Wir streunern also mehr oder weniger verkatert durch die schönen Straßen und Gassen Breslaus, irgendwann fällt das Zauberwort „Freizeit“ und wir rennen in das nächstbeste Museum! Nein, quatsch, es geht hier um Studenten, selbstverständlich rennen wir in das nächstbeste polnische Restaurant.
Polnisches Restaurant könnte hier allerdings missverständlich sein. Auf den ersten Blick ist das polnischste an dem Restaurant nämlich einzig und allein die geographische Lage und vielleicht die Sprache auf dem Menü. Wir rennen nämlich zielsicher in ein Ägyptisches Steakhouse mitten in Breslau. Glücklicherweise haben die außer typisch Ägyptischen Steaks, mexikanischer Küche und diversem anderen aber auch Polnisches und wir schlagen dementsprechend zu.
Nachdem wir uns mit „Piroggi“ und irgendeiner sehr guten Apfelstrudelvariante vollgefuttert haben, fällt uns auf, dass die Zeit bis zum nächsten Termin schneller verging als erhofft und wir uns jetzt richtig beeilen müssen, wenn wir noch vorher in einen polnischen Supermarkt wollen. Diverse Genussmittel werden in ungeheuren Massen eingepackt (Zigaretten, Schokolade, anderer Süßkram) und zum Hostel geschleppt. Im Bad schrubben wir uns den Stress aus dem Gesicht, malen uns ein „Wir sind jetzt seriöse Studenten und gehen ins Theater“-Gesicht auf und sind bereit für Kultur.
Das ist das kleine Manko meiner Polen-Reise: Ich kann ja gar kein Polnisch. Jetzt könnte man meinen, dass es etwas seltsam ist, in ein Theaterstück zu gehen, wenn man die Sprache nicht versteht. Andererseits war ich auch in Georgien ab und zu im Theater und habe dort (traurigerweise) bis auf „Hallo“ und „Danke“ nicht besonders viel verstanden. Glücklicherweise war ich aber nicht auf einer Hörbuchpremiere (falls es so etwas gibt), sondern eben im Theater und da kann ja man ja auch gucken. Das hab ich also in Georgien getan und das tue ich auch jetzt: Gucken und nach Worten suchen, die ich verstehe. Ich ende wieder bei „Hallo“ und „Danke“ und plädiere allgemein für mehr Theaterstücke, die ihren Schwerpunkt in den Dialogen auf „Hallo“ und „Danke“ setzen, damit könnte man den Ausländern und Touristen den Zugang zur Kultur eines Landes sehr vereinfachen.
Das Theaterstück ist ziemlich gut anzugucken, auch diejenigen, die es gelesen haben, sind soweit zufrieden. Die nächste Station soll also wieder „Landeskultur erkunden“ heißen: Schoko- bzw. Karamellbier wurde mir vorher als „Das musst du probieren, wenn du in Breslau bist!“ angepriesen, also muss ich das wohl tun. Leider wird in dem Laden, wo man das probieren kann, heute irgendein Boxkampf übertragen, wo offenbar ein Pole mitboxt, weswegen wir keinen Platz mehr kriegen und uns die Stimmung sowieso auch zu kriegerisch ist. Karamellbier trink ich dann wohl nächstes Mal, wenn ich mal wieder in Breslau bin.
Stattdessen verbringen manche von uns den Abend in Elektro-Literatur-Cafe-Bar-Club-wasauchimmer-Etablissements. Und das ist ja auch nicht das schlechteste.

Mein Fazit: Ein Wochenende ist unfassbar wenig Zeit, um eine Stadt kennenzulernen und Breslau hat jetzt einen Ehrenplatz auf meiner langen Liste der Orte, „wo ich schon war und nochmal hinmuss“.
Ist nämlich sehr schön da, falls ich das noch nicht erwähnt habe.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen